Goodwood – Wenn der Rolls-Royce 103EX vorfährt, wird die Straße zum Laufsteg und der Bürgersteig zur Bühne: Ein Flügel klappt nach oben, es surrt elektrisch eine Treppe zu Boden und LED-Scheinwerfer rollen einen roten Teppich aus Licht über den Asphalt.
«Viel auffälliger kann man ein Auto nicht verlassen», sagt Giles Taylor. Er ist Designchef bei Rolls-Royce und dieses Spektakel gehört zu einer Studie, mit der er die Luxuslimousine von Übermorgen skizziert. Taylor hat diese Studie nicht nur als Geschenk zum 100. Geburtstag der Konzernmutter BMW auf die Räder gestellt. Vor allem ist sie ein Gedankenspiel über die Zukunft der absoluten Luxusklasse, die sich vom tiefgreifenden Wandel der Autowelt nicht abkoppeln kann – selbst wenn CO2-Emissionen bei den winzigen Stückzahlen in der Liga von Bentley, Maybach oder Rolls-Royce keine Rolle spielen.
«Diese Marken müssen sich neu erfinden, wenn sie eine Zukunft haben wollen», sagt der Kölner Automobilkritiker Paolo Tumminelli. «Denn das alte Koordinatensystem aus Luxus und Leistung taugt nur noch bedingt zur Differenzierung». Das sieht Automobilwirtschaftler Stefan Bratzel ganz genauso: «Nicht mehr das Haben ist wichtig, sondern das Sein» sagt der Professor aus Bergisch Gladbach. «Automobiler Luxus wird künftig weniger über die Hardware, sondern mehr über weiche Faktoren definiert».
Für Tumminelli hat so nicht mehr das stärkste, schnellste oder schrillste Auto automatisch das höchste Prestige, sondern zum Beispiel das smarteste: «Es geht zwar auch in Zukunft darum, aufzufallen, sich abzuheben und sich von anderen abzugrenzen», kommentiert er Entwürfe wie den Rolls-Royce 103EX oder das über sechs Meter lange Luxuscoupé Maybach 6, das Mercedes-Designchef Gorden Wagener im August in Pebble Beach enthüllt hat. «Doch solche Extreme zeugen von einer tragischen Design-Dekadenz.» Größe und Glanz seien Statussymbole von gestern. «Den Klassenunterschied werden künftig andere Werte machen, dazu die smarte Inszenierung von Technologie.»
«Einer dieser Werte könnte Zeit sein», sagt Bentleys Designchef Stefan Sielaff. Er glaubt, dass Zeit in immer hektischeren Zeiten zu einem immer kostbareren Gut wird. Gewonnen wird diese Zeit in der Vision der Entwickler nicht nur durch exklusive Fahrspuren für exklusive Autos, sondern vor allem durch intelligente Assistenzsysteme bis hin zum Autopiloten. «Damit wird Zeit, die man heute etwa im Stau als verschwendet empfindet, zu einem Gewinn», sagt Mercedes-Chefentwickler Thomas Weber und erklärt damit, weshalb man in der autonomen Studie F 015 nicht mehr die ganze Zeit hinter dem Lenkrad sitzen muss und sich den anderen Passagieren zuwenden kann. Genau wie im Rolls-Royce 103EX oder in Sielaffs Ideenskizze «The Future of Luxury», die eher an eine Lounge oder ein modernes Eisenbahn-Anteil erinnert als an den Innenraum eines Autos.
Rolls-Royce und Bentley gehen noch weiter und haben bei ihren Entwürfen nicht nur das Lenkrad und die Pedale weggelassen, sondern gleich das ganze Cockpit mitsamt dem Fahrersitz. «Für die Besitzer eines Phantom ist das keine große Umstellung», sagt Taylor, «schließlich sind es die meisten Rolls-Royce-Kunden ohnehin gewohnt, chauffiert zu werden.» Nur dass sie die Beine jetzt noch weiter ausstrecken und ein ungehindertes Panorama genießen können.
Wagener geht zumindest beim Maybach 6 nicht ganz so weit. In der Autonomie-Studie F 015 kann man zwar ebenfalls das Lenkrad wegklappen und den Fahrersitz zu den anderen Insassen drehen. Aber bei dem Luxuscoupé ist die Sitzordnung starr und das Cockpit eine einzige Einladung, das Ruder in der Hand zu behalten. «Denn wenn wir irgendwann alle in autonomen Shuttle sitzen oder uns von führerlosen Limousinen chauffieren lassen, dann ist es der wahre Luxus, noch selber fahren zu können.»
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(dpa/tmn)