Köln – Der Kleinwagen kommt wieder groß raus. Zwar feiert die PS-Branche weiterhin den Boom der Geländewagen und reitet auf der Crossover-Welle. Doch nach wie vor entfällt laut Analysten etwa jede vierte Neuzulassung in Europa auf einen Stadtflitzer wie VW Polo oder Renault Clio.
«Deshalb sind die Hersteller gut beraten, dieses Segment nicht aus den Augen zu verlieren», sagt Automobilwirtschaftler Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch-Gladbach. Diese Warnung ist in den Vorstandsetagen in Wolfsburg, Köln, Seoul oder Barcelona offenbar angekommen. Denn allerorten bereiten die Hersteller gerade die Premieren neuer Modelle vor, die dem zuletzt etwas verschlafenen Kernsegment neuen Schwung geben sollen.
Dabei setzen sie nicht allein auf die Verführungskraft ihrer Designer, sondern rüsten auch technisch nach. Das Segment ist zwar laut Bratzel sehr preissensibel, weil viele Kleinwagen als Zweitfahrzeuge oder von finanzschwachen Familien gekauft werden. Dennoch holen die Autobauer viele Systeme aus den höheren Klassen in ihre neuen Modelle. Das ist auch nötig, sagt Bratzel. «Denn vor allem bei Themen wie dem Infotainment und der Connectivity sind die Klassenschranken längst gefallen.»
Das beste Beispiel dafür liefert in diesem Sommer der VW-Konzern, der für seine neue Kleinwagengeneration die Plattform der Kompaktmodelle nach unten erweitert hat. «Diese neue Architektur macht alle Errungenschaften von Golf und Co auch für die Klasse darunter verfügbar», sagt Entwicklungsvorstand Frank Welsch.
Den ersten Beweis dafür tritt im Juni der neue Seat Ibiza an: Er bietet laut Hersteller trotz geschrumpfter Abmessungen nicht nur mehr Platz als bisher, sondern kommt auch mit einer neuen Generation von Infotainment-Systemen mit großem Touchscreen und elektronischen Errungenschaften wie LED-Scheinwerfern. Und das ist nur das Vorspiel, sagen sie bei der Konzernmutter in Wolfsburg. Denn mit dem Ibiza läuft sich VW warm für den zum Herbst geplanten Generationswechsel des Polo, der nach Angaben von Welsch ebenfalls auf die neue Architektur wechselt und ähnliche Vorteile bieten wird.
Auch der Ford Fiesta probt den Aufstieg: Wenn im Sommer die achte Generation des Kölner Kleinwagens kommt, wird es ihn nach Angaben des Herstellers mit neuen Assistenzsystemen von der Fußgängererkennung bis zur Einparkautomatik geben. Und er kommt in zwei völlig neuen Modellvarianten. Für die Abenteurer im Alltag legt Ford den am SUV orientierten Active auf. Verwöhnte Kleinwagenkunden können erstmals zur Luxusversion Vignale greifen.
Da sich die Diversifizierung des Kleinwagensegments weiter fortsetze, werde auch die nächste Fiesta-Generation variantenreicher – «für die immer zahlreicheren Fans von Crossover-Versionen bis hin zu Käufern, die sich bewusst für ein kompakteres Modell entscheiden, aber die Qualität eines teureren Fahrzeugs erwarten,» rechtfertigt Europa-Chef Jim Farley diesen Schritt.
Dass der Fiesta dabei etwas teurer wird und künftig bei 12 950 Euro startet, tut der Zuversicht keinen Abbruch. Nicht umsonst haben die Kölner für knauserige Kleinwagen-Kunden im letzten Jahr den ähnlich großen, aber deutlich billigeren Ka+ aufgelegt.
Toyota will in den nächsten Wochen den gründlich überarbeiteten Yaris in den Handel bringen. Kia fokussiert sich auf die neue Generation des Rio, die ab 11 690 Euro ähnlich wie Polo & Co einen deutlichen Schritt nach oben macht. Dem Hersteller zufolge wird sie nun ebenfalls mit Touchscreen-Navigation und Notbremsassistent mit Fußgängererkennung ausgeliefert. Wer den Aufstieg nicht mitmachen möchte, dem bietet auch Kia eine preiswerte Alternative: Kurz nach dem Corsa-Konkurrenten startet für 9990 Euro sein kleiner Bruder Picanto in die nächste Runde.
So laut und bunt die aktuelle Premierenparty bei den Kleiwagen noch sein mag: In Zukunft werden die Herausforderungen größer, mahnt Bratzel. «Denn die Margen für Kleinwagen sind niedrig, aber die Ansprüche werden immer höher.» Das gilt nicht zuletzt für die Antriebe. «Denn für die künftige Mobilität in Städten und Ballungsgebieten wird die Elektrifizierung von Kleinwagen ein wichtiges Element sein.» Dann geht es nicht nur um Elektronikbausteine und Ausstattungsoptionen aus größeren Modellen, sondern auch um Akkus und Elektromotoren.
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(dpa/tmn)