Freiburg – Der Blick ist nach unten auf das Smartphone
gerichtet, in den Ohren stecken Kopfhörer. Die weiße Linie im Boden
an der Bahnsteigkante ignoriert der Mann, der derart abgelenkt am
Hauptbahnhof auf dem Bahnsteig läuft. Den herannahenden Zug bemerkt
er nicht.
Ein Polizist macht ihn darauf aufmerksam. Mit erhöhter
Präsenz und Aufklärungskampagnen will die für den Bahnverkehr
zuständige Bundespolizei für das Thema sensibilisieren. Es besteht
Handlungsbedarf, sagen die Beamten. Ziel ist es, Unfälle zu
vermeiden.
Gefährliche Sorglosigkeit
«Wir haben zunehmend den Eindruck, dass die Gefahren des Bahnverkehrs
unterschätzt werden», sagt Friedrich Blaschke. Der Beamte der
Bundespolizei ist in Freiburg mit seinem Kollegen Fabian Morath auf
Streife. Im Gedränge des morgendlichen Berufsverkehrs am Hauptbahnhof
können sie das Phänomen gut beobachten: Bahnreisende stehen dicht an
der Bahnsteigkante, als ein ICE mit hohem Tempo einfährt. Sie strömen
zum Zug, als dieser noch gar nicht steht. Auf einem anderen Gleis
fährt ein Güterzug durch. Abstand zum Gleis hält kaum jemand.
Mehr Sicherheit durch Informationskampagnen
Die Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel ist die Hauptroute in
Nord-Süd-Richtung in Baden-Württemberg und eine der meistbefahrenen
Bahnstrecken Europas. Hier ist das Problem aufgrund der hohen Anzahl
an Zügen und Fahrgästen besonders groß, sagen die Beamten. Doch auch
andernorts müssten Bahn und Bundespolizei zunehmend aktiv werden.
Betroffen seien alle Bahnstrecken: Routen des Fernverkehrs ebenso wie
Regionalbahnlinien und Güterbahnstrecken. Immer wieder komme es zu
Unglücken und Zwischenfällen.
Die Bundespolizei erhöht nun die Präsenz an Bahnsteigen, um so für
mehr Sicherheit zu sorgen. Zudem erweitern
Bahn und
Bundespolizei
ihre Informationskampagnen, wie eine Sprecherin der Bahn sagt.
Riskante Sogwirkung
«Es ist eine trügerische Sicherheit», sagt Polizist Blaschke und
nennt die Gefahren: «Ein Zug, der im Bahnhof ein- oder durchfährt,
entwickelt eine große Sogwirkung.» Es wirbeln Winde auf. Diese können
Menschen, Kinderwagen oder Gepäckstücke mitreißen: «Die weiße Linie
auf dem Bahnsteig, die sichtbar in den Boden integriert ist und
Menschen auf Abstand zu den Schienen halten soll, sollte daher zur
eigenen Sicherheit beachtet und erst überschritten werden, wenn der
Zug steht.» Die Gefahr, auf die Schienen zu stürzen, sei sonst groß.
Doch beachtet würden die Sicherheitshinweise immer seltener, sagt
Morath: «Menschen sind – so unsere Beobachtung – immer mehr unter
Zeitdruck, Eigeninteressen stehen im Vordergrund.» Die Bereitschaft,
Regeln zu akzeptieren und einzuhalten, nehme ab.
Als Beispiel nennt der Polizeikommissar Bahnübergänge. Nur an ihnen
dürfen Schienen überquert werden. «Es gibt aber viele Menschen, die
keinen Umweg auf sich nehmen wollen. Statt zum nächsten Bahnübergang
zu gehen, laufen sie direkt über die Gleise.» Sie gehen damit laut
Bundespolizei ein lebensgefährliches Risiko ein. Denn durch ständige
Fahrplan- und Gleisänderungen, durch Verspätungen und Zugverkehr
außerhalb des Fahrplans wie Güter- und Sonderzüge könne niemand
sicher sagen, ob und wann und aus welcher Richtung ein Zug komme.
Zudem seien Züge deutlich schneller und leiser als früher. Würden sie
gesehen oder gehört, sei es meist zu spät. «Schnell stoppen kann ein
Zug nicht», warnt Morath. Der Bremsweg eines Zuges, der mit 100 bis
160 Kilometern pro Stunde unterwegs, betrage bis zu einen Kilometer.
Auf freier Strecke seien die Geschwindigkeiten noch höher und die
Bremswege noch länger. Ausweichen könne ein Zug auch nicht.
Tödliche Trends
Hinzu kommen Leichtsinnigkeit und Abenteuerlust sowie Mutproben. Ein
gefährlicher und vor allem bei Jugendlichen beliebter Trend: Selfies
im Gleis: ein Selbstporträt, mit dem Handy aufgenommen auf Schienen,
mit einem heranrasenden Zug im Hintergrund. Auch entsprechende Videos
werden immer häufiger gepostet, beobachtet die Bundespolizei. Eine
Entwicklung, die den Beamten Sorge macht.
Immer wieder komme es auch vor, dass Menschen auf Züge klettern oder
sich an Brücken den über den Zugstrecken verlaufenden und 15 000 Volt
starken Oberleitungen nähern. Das sei lebensgefährlich. Einen Kontakt
überlebe selten jemand. «Aber schon eine Annäherung kann tödlich
enden», warnt die Deutsche Bahn. Der Strom könne bis zu 1,50 Meter
weit überspringen und sei so eine tödliche Gefahr. Mit mehr als 1000
Amper sei er 65 Mal stärker als Strom aus der Steckdose. Ein weiteres
lebensgefährliches Phänomen sei das sogenannte
S-Bahn-Surfen.
Aufklärende Präventionsarbeit
Die Beamten reagieren auf diese Entwicklungen. «Wir versuchen
gegenzusteuern», sagt der Freiburger Bundespolizist Thomas
Schlageter. Er ist in der polizeilichen Prävention tätig und macht in
Seminaren und mit Aktionen auf die Gefahren des Schienenverkehrs
aufmerksam. So geht er beispielsweise in Schulklassen und erklärt
Schülern, wieso das Spielen an Schienen keine gute Idee ist. Die Bahn
ist ebenfalls aktiv. «Riskiere dein Leben nicht für ein Selfie»,
heißt ein von ihr initiiertes Präventionsvideo für Jugendliche.
«Wir appellieren, sich an Regeln zu halten – im eigenen Interesse»,
sagt Schlageter: «In den meisten Fällen stoßen wir damit auf
Verständnis und Einsicht.» Zudem drohen Bußgelder.
Fotocredits: Patrick Seeger,Patrick Seeger,Patrick Seeger,Patrick Seeger,Patrick Seeger,Patrick Seeger,Patrick Seeger,Patrick Seeger,Patrick Seeger
(dpa)