Karlsruhe – Viele VW-Dieselfahrer können im Streit um Schadenersatz wegen zu hohen Abgasausstoßes ihrer Autos auf Rückendeckung der obersten Richter aus Karlsruhe hoffen.
In einer ersten, wenn zunächst auch nur vorläufigen Einschätzung stellte sich der Bundesgerichtshof (BGH) nun weitgehend auf die Seite der Kunden, die das Geld für ihr Fahrzeug zurückhaben wollen, weil darin eine illegale Technik zum Einsatz kam. Nach Auffassung der Richter dürfte ihnen schon mit dem Kauf ein Schaden entstanden sein, den VW ersetzen müsste – allerdings mit Abzug einer Nutzungsentschädigung für die Zeit, in der sie mit dem Wagen gefahren sind.
Der 6. Zivilsenat des
BGH hatte am 5. Mai erstmals überhaupt eine sogenannte Dieselklage gegen VW verhandelt. Mit der vorläufigen Einschätzung machen die Richter deutlich, wie sie den Fall sehen und welche Punkte aus ihrer Sicht relevant sind. Ein Urteil wollen sie am 25. Mai (11.00 Uhr) verkünden (Az. VI ZR 252/19).
Der Fall
Im Januar 2014 kauft Herbert Gilbert bei einem freien Händler einen VW Sharan 2.0 TDI match. Gebraucht, 20.000 Kilometer auf der Uhr, für 31.490 Euro brutto. Unter der Haube steckt ein Diesel-Motor vom Typ EA 189 – mit einer unzulässigen Abgastechnik, die, wie sich im Herbst 2015 herausstellt, dafür sorgt, dass das Fahrzeug die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße einhält. Gilbert klagt gegen VW, will sein Fahrzeug zurückgeben und dafür das Geld zurück.
Das Landgericht Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz weist die Klage im Oktober 2018 ab. Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz als nächsthöhere Instanz entscheidet im Juni 2019 anders: VW schuldet dem Käufer Schadenersatz, muss das Fahrzeug zurücknehmen und 25.616,10 Euro nebst Zinsen zurückzahlen. Das ist der Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Gilbert aber will den vollen Betrag zurück, geht in Revision. Auch VW geht gegen das Urteil vor: Der Autobauer will gar nicht zahlen.
Die Argumente
Wie viele Diesel-Besitzer argumentiert auch Gilbert: Hätte er gewusst, was für eine Software da in seinem Fahrzeug steckt, hätte er es nie gekauft. Er habe ein sauberes Auto haben wollen und der Werbung geglaubt. Nun fühle er sich getäuscht. Das OLG Koblenz gab ihm recht und sah im Verhalten von VW eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Der Autobauer habe Behörden, Wettbewerber und Verbraucher zur Maximierung seines Profits systematisch getäuscht. Und statt eines uneingeschränkt zugelassenen Fahrzeugs habe der Käufer ein Auto bekommen, das von Betriebsuntersagung und Stilllegung bedroht sei.
Die BGH-Richter formulierten es am Dienstag zwar zurückhaltender, schlossen sich der Bewertung des Falls aber weitgehend an. Aus ihrer vorläufigen Sicht dürfte schon durch den ungewollten Vertragsschluss – also den Kauf des Autos ohne Kenntnis der Abgas-Trickserei – ein Schaden entstanden sein. Ob das Auto voll nutzbar war oder nicht, habe letztlich vom Zufall abgehangen – nämlich davon, ob und wann die illegale Software-Funktion entdeckt wird und welche Folgen das hat.
VW sieht das ganz anders: Das Fahrzeug sei zu jeder Zeit voll nutzbar gewesen. Somit sei auch kein Schaden entstanden, der nun ersetzt werden müsste. Die Gefahr einer Stilllegung habe allenfalls hypothetisch bestanden, faktisch aber nie, argumentierte der Vertreter des Autobauers am Dienstag vor Gericht. Zudem hätten die Fahrzeuge mit EA-189-Motor schon vor dem Software-Update im realen Straßenbetrieb vielfach deutlich niedrigere Stickoxid-Emissionen als die anderer Hersteller aufgewiesen, so der Konzern. «Worin hier der konkrete Schaden liegen soll, ist für Volkswagen nicht ersichtlich.»
Die Folgen
Mit ihren Urteilen geben die obersten deutschen Zivilrichter in aller Regel die Linie vor, an der sich untere Instanzen orientieren. Gerade im Dieselskandal kann von einheitlichen Entscheidungen bisher keine Rede sein. Selbst die Frage, ob VW seinen Kunden gegenüber wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung überhaupt zu Schadenersatz verpflichtet ist, wird bisher sehr unterschiedlich gesehen.
Auch der sogenannte Nutzungsersatz – also der Abzug eines Teils des Kaufpreises bei Rückerstattung – ist ein zentraler Punkt des aktuellen Falls. Ebenso die Frage, ob Neu- und Gebrauchtwagen gleich zu behandeln sind. Dazu dürfte das BGH-Urteil also ebenfalls eine wichtige Weichenstellung sein. Daneben gibt es viele Details, deren Bedeutung der BGH wohl eher nach und nach im Zuge weiterer Verfahren klären wird: der Zeitpunkt des Kaufs vor oder nach Bekanntwerden der Manipulationen, Verjährungsfristen, Software-Update ja oder nein, die Laufleistung der Autos oder die Frage nach Zinsen auf den Kaufpreis.
Anlass für neue Klagen sieht VW allerdings kaum und verweist auch auf den geschlossenen außergerichtlichen Vergleich mit rund 235.000 Dieselfahrern aus der Musterfeststellungsklage, die damit alle weiteren möglichen Ansprüche aufgeben. Von dem BGH-Urteil erwarte man eine klare Botschaft dazu, wie weitere juristische Punkte auch bei den zahlreichen anderen Prozessen eingeschätzt würden: «Dies kann die zügige Beendigung vieler noch laufender Verfahren erleichtern.»
Die Gegenseite sieht den Dieselskandal dagegen jetzt erst richtig ins Rollen gebracht. «Das Urteil wird auch für die manipulierten Pkw anderer Fahrzeughersteller eine Signalwirkung haben», ist die Kanzlei Goldenstein & Partner überzeugt. Sie vertritt neben Gilbert nach eigenen Angaben noch rund 21.000 weitere Diesel-Mandanten.
Drei weitere VW-Schadenersatz-Verfahren mit jeweils anderen Fallkonstellationen hat der BGH schon für den Juli terminiert. Zudem liegt inzwischen eine dreistellige Zahl an weiteren Verfahren – nicht nur gegen VW – beim 6. Zivilsenat. Das letzte Wort zum Dieselskandal wird daher auch beim BGH noch lange nicht gesprochen sein.
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(dpa)