München – Warnungen vor dem gläsernen Bürger gibt es seit Jahrzehnten. Noch vor dem Bürger wird aller Voraussicht nach aber der Autofahrer durchsichtig.
Um die kommerzielle Verwertung der Fülle von Daten, die ein Auto neueren Baujahrs in jeder Millisekunde produziert, ist ein scharfer Wettbewerb zwischen Autoherstellern, Versicherern, Zulieferern, Start-ups und sonstigen Kombattanten entbrannt. Unternehmensberater und IT-Fachleute schwärmen von neuen Geschäftsmodellen, Datenschützer betrachten die Entwicklung misstrauisch.
«Das ist zu einem permanenten Thema geworden und wird uns noch viele Jahre beschäftigen», sagt Thomas Kranig, der Präsident des bayerischen Landesamts für Datenschutzaufsicht. Denn ein Auto produziert Daten in Hülle und Fülle, teils personenbezogen, teils technische Fahrzeugdaten. Und zu Geld machen lässt sich im Prinzip alles.
Für Marketing und Dienstleistungen rund ums Auto sind keineswegs nur die persönlichen Daten des Fahrers von Bedeutung. Auch an den technischen Daten ohne Personenbezug herrscht reges Interesse: Autohändler, Werkstätten, Zulieferer, Versicherer, Automobilclubs wie der ADAC, IT-Start-ups sind daran interessiert; aber auch staatliche Stellen wie Verkehrsplaner oder die Justiz bei der Aufklärung schwerer Verkehrsunfälle.
So lassen allein die Bewegungsdaten eines Autos – wo und wann ein Fahrzeug fährt – vielfache Anwendungen jenseits der Stauwarnung zu: Fuhrunternehmer, Handwerksmeister und sonstige Chefs können mit Hilfe von GPS-Trackern und einer entsprechenden App nachprüfen, ob die Belegschaft mit dem Firmenauto Umwege fährt oder zu lange Pausen macht. Einzelhandels- oder Tankstellenketten können anhand der Verkehrsströme analysieren, wie sich der Umsatz ihrer Filialen verbessen lässt. Apps melden freie Parkplätze.
Mit den personenbezogenen Daten des Fahrers sind naturgemäß noch weit mehr Anwendungen möglich, die sich in den nächsten Jahren verbreiten könnten: Das Auto als Zahlmittel etwa, das Rechnungen an der Tankstelle begleicht. Auf dem Display könnte personalisierte Reklame für Geschäfte und Restaurants in der Nähe erscheinen, orientiert an den persönlichen Vorlieben des Fahrers. Die Digitalisierung eröffnet den Unternehmen die Möglichkeit zusätzlicher Dienstleistungen, um das eigene Produkt zu verschönern und zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen.
Nach dem Bundesdatenschutzgesetz hat der Halter des Fahrzeugs ein Selbstbestimmungsrecht an den personenbezogenen Daten. Die technischen Fahrzeugdaten aber werden von den Autoherstellern ungern geteilt.
Beispiel BMW: Hat ein «Connected Drive»-Kunde des Münchner Herstellers eine Panne, übermittelt das Auto den Hilferuf des Fahrers sowie Daten zur Identifizierung und Lokalisierung des Fahrzeugs gegebenenfalls an von BMW beauftragte Dienstleister. «Anschließend werden die Daten gelöscht. Eine Weitergabe der Daten an Dritte findet darüber hinaus nicht statt», betont eine Sprecherin des Münchner Autokonzerns.
Wenige Kilometer entfernt – noch fast in Sichtweite des Münchner BMW-Turms – herrscht in der Vorstandsetage der Allianz eine ganz andere Meinung: «Die Fahrzeughersteller haben sich in der Vergangenheit teilweise auf den Standpunkt gestellt, dass es sich bei den im Fahrzeug gespeicherten Daten lediglich um fahrzeug- und nicht um fahrerbezogene Daten handle, so dass dem Fahrer auch kein Recht an den Daten zustehe», sagt Joachim Müller, Chef der Sachversicherung in Deutschland. «Das sehen wir als Allianz anders.»
Der Versicherungskonzern möchte sämtliche im Auto gespeicherten Daten – und sei es die Motordrehzahl – dem Halter zugeordnet sehen. Der Grund: Dann könnte nicht mehr der Autohersteller entscheiden, ob und mit wem er diese Daten teilt, sondern der Halter. Und der stellt die Daten ja vielleicht lieber seiner Versicherung zur Verfügung als dem Hersteller. Die Einwilligung des Fahrzeughalters oder Fahrers vorausgesetzt, «muss auch ein fairer und diskriminierungsfreier Wettbewerb um die Daten und die damit ermöglichten Kundenservices im Fahrzeug gewährleistet sein», sagt Müller.
Die Allianz ist in Deutschland nach Kundenzahl der zweitgrößte Kfz-Versicherer. Marktführer HUK Coburg plant Rundum-Serviceangebote, die weit über eine traditionelle Kfz-Police hinausgehen, wie Vorstandssprecher Joachim Weiler im April ankündigte. Die Coburger denken über viele künftige Bausteine nach – darunter Tanken, Park-Apps, Autowäsche und Tuning.
Auch der bayerische Datenschutz-Präsident Kranig betont die Trennung von technischen Daten und auf persönlichen Vorlieben beruhenden «Infotainment»-Dienstleistungen im Auto. Bei letzteren ist ein von Facebook und anderen sozialen Medien bekanntes Phänomen zu beobachten: Viele Menschen geben persönlichste Dinge ganz freiwillig preis. «Da ist natürlich im Verhältnis zu dem, was früher üblich war, von der Privatsphäre nicht mehr so viel übrig», sagt der Behördenchef.
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(dpa)