Bonn/Mailand – Bei der Weltausstellung 1967 im kanadischen Montreal zählte zu den Stars der Show auch die Studie eines Sportwagens. Den hatten die Messe-Macher bei Alfa Romeo in Auftrag gegeben, um das Auto als industrielles Produktionsgut zu inszenieren.
Die Italiener ließen sich nicht zweimal bitten, beauftragten die Designschmiede Bertone mit der Umsetzung und schickten zwei Coupés nach Kanada, die mächtig Eindruck schindeten.
So zwischen Spiegeln platziert, dass sie bis ins Unendliche vervielfacht wirkten, wurden die Alfas zum großen Anziehungspunkt für die Besucher. «Und mit jedem Tag der sechsmonatigen Ausstellung erhält Alfa Romeo mehr Anfragen aus Nordamerika und dem Rest der Welt, den Expo-Blickfänger auch zur Serienreife weiterzuentwickeln», sagt Alfa-Sprecherin Anne Wollek. Als Montreal feierte der Sportwagen im März 1970 Premiere auf dem Genfer Salon.
Kurze Karriere – lange Legende
Zwar war seine Karriere weder einfach noch sonderlich lang, sagt Alfa-Romeo-Experte Hartmut Stöppel aus Bonn. Doch vielleicht gerade deshalb hat es der Montreal zur Legende gebrach. «Es gibt viele berühmte Alfas, manche sind sportlicher als der Montreal, manche exklusiver und viele waren kommerziell erfolgreicher», sagt Stöppel. «Doch als eines der coolsten Coupés aus den 1970ern hat der Montreal einen Ehrenplatz in dieser exklusiven Familie sicher.»
Gezeichnet hat den Montreal Marcello Gandini. Der damals 30-Jährige stand noch am Beginn seiner Karriere, in der er zum Beispiel noch den Lancia Stratos oder Lamborghini Countach zeichnen sollte. Doch mit dem Lamborghini Miura hatte er sich schon einen Namen gemacht.
Auf einer Bodengruppe der Mittelklasse-Limousine Giulia entwarf er ein kantig-cooles Coupé von 4,22 Metern, das aus jeder Perspektive einzigartig wirkte und spätestens auf den zweiten Blick unverwechselbar war. Die Lamellen vor den Scheinwerfern, die Lüftungsgitter hinter den Türen, die Hutze in der Motorhaube: Das hatte es so vorher noch nie gegeben – und danach auch nicht wieder.
Vieles blieb auf dem Weg zur Serienproduktion erhalten
Entsprechend behutsam entwickelten die Ingenieure das Konzept auf dem Weg in die Serie weiter. Zwar wird dem Wagen immer wieder ein Mittelmotor nachgesagt, doch blieb es aus Kostengründen beim Frontmotor-Konzept der Giuli. Die Kiemen an der Flanke überlebten als reines Styling-Detail. Und obwohl es reichlich Kampf mit den Zulassungsbehörden gab, haben selbst die Schlafzimmer-Augen des Coupés überlebt.
Der V8-Motor ist eine Organspende aus dem Rennsportmodell Typo 33. «Allerdings haben die Italiener das wilde Triebwerk ein wenig domestiziert», so Stöppel. Der Montreal sollte ein Gran Turismo für flotte Genießer werden und kein Rennwagen für hektische Raser sein.
Der Hubraum wurde deshalb von 2,0 auf 2,6 Liter vergrößert, und die Leistung im Gegenzug gedrosselt: Statt 191 kW/260 PS standen nun 147 kW/200 PS im Datenblatt. Doch auch das reichte für respektable Fahrleistungen: Mit 7,6 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h und einem Spitzentempo von 219 km/h behauptete der King of Cool auch auf der linken Spur. Das hatte auch seinen Preis, der zur Markteinführung Anfang 1971 35 000 D-Mark lag. Ein Porsche 911 S war da 7000 D-Mark billiger, sagt Stöppel.
Lieber reisen als rasen
Wer den Montreal fahren will, muss sich erst einmal an die ungewöhnliche Auslegung des Getriebes gewöhnen, bei dem der erste Gang unten links liegt. Das ist ein weiterer Gruß aus dem Motorsport, weil man ihn im Rennen so selten braucht.
Die Lenkung erfordert gut trainierte Arme. Allzu scharfe Kurven quittiert der Alfa trotz des Sperrdifferentials an der angetriebenen Hinterachse mit Tanzeinlagen der feurigen Sorte und das Fahrwerk mit seiner Starrachse im Heck erweist sich auf schlechten Pisten schnell als verstimmt.
Doch wer reisen will statt zu rasen, der wird im Montreal zum Genießer – und kommt trotzdem flott ans Ziel. Dabei ist eine Ausfahrt mit dem Alfa ein Erlebnis für alle Sinne.
Der Montreal macht sich rar
In diesen Genuss kommen allerdings nur wenige, muss Alfa-Kenner Stöppel einräumen. Denn die Italiener haben nicht nur lange drei Jahre bis zum Debüt des Serienmodells und dann noch einmal über neun Monate bis zur ersten Auslieferung Anfang 1971 gebraucht. Sondern auch die Produktion selbst geriet immer wieder ins Stocken.
Als der Montreal 1977 endgültig ausläuft, steht der Zähler am Ende deshalb bei nur 3925 Exemplaren. Die beiden Exemplare aus Montreal parken mittlerweile übrigens im Alfa-Werksmuseum bei Mailand.
Fotocredits: Thomas Geiger,Thomas Geiger,Thomas Geiger,Thomas Geiger,Thomas Geiger,Thomas Geiger,Thomas Geiger
(dpa/tmn)