Braunschweig – Ende Februar stand die prinzipielle Einigung – nun geht es um die tatsächliche Akzeptanz der Verbraucher. Der Diesel-Vergleich zwischen dem VW-Konzern und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) soll mehr als 260.000 Autofahrern, die sich durch «Dieselgate» getäuscht sehen, Schadenersatz für den Wertverlust ihrer Fahrzeuge bieten.
Am Montag (20. April) lief die Frist zur Registrierung eigentlich aus, wegen des «großen Interesses» wurde sie jetzt noch einmal verlängert. Wer den Kompromiss nicht annehmen will, hat aber weiterhin auch andere Möglichkeiten. Der aktuelle Stand:
Wie viele VW-Kunden zeigen Interesse, und kommen noch mehr hinzu?
Mitte April hatte Volkswagen eine Summe von rund 250.000 Verbrauchern gemeldet, die am Vergleich teilnehmen wollten. Das wären etwa 95 Prozent der 262.000 Kunden, die gemäß den zugrundeliegenden Kriterien zur Annahme des Angebots berechtigt sind. Am Montag erklärte VW, man habe sich mit mittlerweile 200.000 Dieselfahrern geeinigt – damit könnten schon 620 Millionen Euro ausgezahlt werden. Bei rund 21.000 Fällen stehe die abschließende Prüfung aktuell noch aus. Die Frist für Neuregistrierungen und Ergänzungen fehlender Unterlagen wurde ausgeweitet, sie läuft nun bis zum kommenden Donnerstag (30. April).
Wie liefen die Gespräche der Dieselfahrer mit VW?
Die meisten waren offenkundig zufrieden – besonders um und nach Ostern gab es aber auch einige Beschwerden beim vzbv. Demnach beklagten sich rund 2000 Verbraucher, unter anderem, weil sie von VW falsche oder missverständliche Auskünfte bekommen oder keine Zugangsdaten fürs Vergleichsportal erhalten hätten. «Volkswagen hat uns zugesagt, dass solche Fälle noch geklärt werden», hieß es beim vzbv. Rechtsvorständin Hiltrud Werner sagte am Montag: «Die hohe Zahl der heute geschlossenen Vergleiche zeigt, dass das Vergleichsangebot von unseren Kundinnen und Kunden als fair empfunden wurde und der Weg zum individuellen Vergleichsabschluss gut funktioniert hat.»
Wie sieht das Angebot konkret aus?
Der Vergleich richtet sich an Besitzer von Dieselautos mit dem fraglichen Motor EA 189 – neben Modellen der Kernmarke VW-Pkw also etwa auch von Audi, Skoda, Seat und den leichten VW-Nutzfahrzeugen. Sie sollen je nach Typ und Alter ihres Wagens aus den Modelljahren 2008 bis 2016 Entschädigungen zwischen 1350 und 6250 Euro bekommen. Im Schnitt sollen die Zahlungen 15 Prozent des Kaufpreises abdecken. Die Gesamtsumme liegt etwa bei 830 Millionen Euro, zudem trägt VW die Kosten zur Abwicklung des Vergleichs und zur Rechtsberatung.
Welche Bedingungen gibt es, und wer genau ist berechtigt?
VW hatte Teilnehmer der Musterklage ab Mitte März angeschrieben: Kunden, die «entweder das Kriterium «Kauf vor dem 1. Januar 2016» oder das Kriterium «Wohnsitz zum Zeitpunkt des Erwerbs in Deutschland» nicht erfüllen, sind nicht vergleichsberechtigt», erklärte der Konzern per E-Mail. Die rund 262.000 Dieselbesitzer sind daher nur eine Teilmenge der insgesamt rund 440.000 Einträge für das Musterverfahren. Erst mussten Doppel- und Spaßeinträge abgezogen werden – dann alle, die zum Kaufzeitpunkt im Ausland lebten oder ihr Auto erst nach dem Ende des Jahres 2015 erwarben.
Die Berechtigten könnten sich für eine Einmalzahlung entsprechend ihrem individuellen Angebot entscheiden, schrieb Volkswagen. «Im Gegenzug verzichten die Kunden auf etwaige in der Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen vorgebrachte Ansprüche.»
Wie und wann sollen die Vergleichsteilnehmer nun an ihr Geld kommen?
Das Unternehmen versprach, die Beträge nach positiv beschiedener Prüfung möglichst rasch zu überweisen, spätestens ab dem 5. Mai. Dies ist auch der Tag, an dem – unabhängig von dem Sammelverfahren in Braunschweig – eine private Einzelklage eines VW-Dieselfahrers erstmals am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verhandelt wird. Innerhalb von drei Monaten sollen nach Angaben des Konzerns dann alle Vergleichsberechtigten die ihnen zugesprochene Summe erhalten.
Was passiert mit Kunden, die kein Angebot erhalten oder dieses nicht annehmen wollen?
Sie können in Einzelverfahren weiter für Entschädigungen streiten. Diese sollten sie vor dem Oktober einreichen, da sonst Ansprüche verjähren, raten die Verbraucherschützer. Es ist aber unklar, ob vergleichbare Bedingungen erzielt werden können – was auch maßgeblich vom ersten Fall am BGH abhängen könnte. «Wer weniger Risiko eingehen möchte, kann den Vergleich annehmen», sagte vzbv-Chef Klaus Müller. Anwaltskanzleien warben weiter um die Vertretung von Mandanten in Einzelprozessen, in der Regel gegen Gebühren im Fall eines Erfolgs.
An vielen Land- und Oberlandesgerichten gab es schon Dieselverfahren, mit unterschiedlichem Ausgang. Teils wurde VW-Kunden Schadenersatz oder sogar Kaufpreis-Ersatz zugesprochen. Oft bekam aber auch der Konzern Recht in seiner Auffassung, die betroffenen Autos seien sicher und voll verkehrstüchtig. Strittig blieb häufig die Frage, ab wann mögliche Ansprüche von Kunden auf Entschädigung verjähren und ob sie Nutzungsabschläge zahlen müssen. Betriebsratschef Bernd Osterloh erklärte im VW-Intranet, er halte den vzbv-Vergleich für attraktiv – das zeige die Resonanz der Kunden auf die außergerichtliche Lösung.
Wie war die Vorgeschichte?
In den USA, wo die Abgasaffäre im September 2015 ans Licht gekommen war, hatte VW Verbraucher, Händler und Behörden mit Milliardensummen entschädigt. Es gab heftige Kritik daran, dass der Konzern dies in anderen Ländern nicht in ähnlichem Umfang tat – es wäre womöglich aber auch an die finanzielle Substanz gegangen. Tausende Kunden in Deutschland entschlossen sich zu individuellen Klagen. Der vzbv zog mit einem Musterfeststellungsverfahren stellvertretend für mehrere Hunderttausend Dieselfahrer vor Gericht. VW zögerte bei dem Vergleich lange mit Verweis auf die vielen unterschiedlichen Einzelfälle.
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(dpa)